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Handlungskompetenz als wichtiger Teil von Lebenskompetenz und Selbstheilung

Erstmal ist es jedem sofort einleuchtend, daß die Steigerung der Handlungskompetenz grundsätzlich für jeden Menschen hilfreich und sinnvoll ist. Kompetenz besagt ja sehr klar, eine differenzierte Art und Weise des Handelns, also auch des “Nichthandels”, des “geschehen lassen” und des Vertrauen an sich. Kompetenz heißt ja, die eigenen Werte zur Orientierung zu nehmen und diese umzusetzen und sich so individuell zu “verwirklichen”, bedarf einer ständigen Entscheidung und Abwägung der eigenen und fremden Interessen und Absichten. Handlungskompetenz kann man nicht lernen, wie Lernstoff aus einer Schule, sondern ergibt sich aus vielen praktischen Lebenserfahrungen: Oder soll wir lieber sagen – “Selbsterfahrungen”? Denn nur wir selbst können Erfahrungen machen, die ganzheitlich sind, also beide Gehirnbereiche umfassen, d.h. also auch im emotionalen Teil der Psyche erlebt werden. Handlungskompetenz umfasst somit kein”schneidiges richtiges trainiertes Verhaltensrepertoire”, sondern ein feinfühliges individuelles emergentes Verhalten.

Ist Handlungskompetenz auch wichtig bei Heilungsprozessen? Wir meinen “Ja”. Es ist der wichtigste Part der Heilung bei Krankheiten. Wir trainieren Handlungskompetenz konsequent in der Innenwelt des Klienten selbst, daher wird der Effekt der ganzheitlichen Selbsterfahrung besonders intensiv genutzt und gleichzeit eine Selbstheilung aktiv herbeigeführt. Was unterscheidet gesunde von kranken Menschen? Wieso kommen Synergetik Therapeuten ohne den üblichen Krankheitsbegriff aus? Wieso können sie “heilen” ohne Krankheiten zu kennen?

Synergetik Therapeuten heilen synergetisch, sie stärken und trainieren Handlungskompetenz des individuellen Lebens – Krankheiten werden nur als Einschränkungen der individuellen Lebensäusserungen angesehen. Daher ist der neue Beruf des Synergetik Therapeuten eine innovative Ergänzung zum bestehenden Gesundheitswesen.

Ingo-Wolf Kittel zu “krank und gesund” #

Viele Wissenschaften haben die Aufgabe unsere Fähigkeiten zum sinnvollen Handeln aufzubauen und zu optimieren, sowie bei ihrer Aktualisierung im konkreten Handeln zu dessen Orientierung und Organisierung beitragen. Im Unterschied zu diesen Wissenschaften, besteht die einzigartige Aufgabe der Medizin darin, diese Fähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Denn Kranke sind Personen, deren individuelle Handlungsfähigkeit in irgendeiner Hinsicht eingeschränkt ist, so daß sie des Beistands und bestimmter Hilfe bedürfen.

Der medizinische Terminus „Krankheit“ steht daher für „Einschränkung individueller Handlungsfähigkeit“. #

In dieser Bedeutung ist der Begriff „Krankheit“ grundlegend für die gesamte Medizin. Differenzierungen verschiedenartiger Einschränkungen individueller Handlungsfähigkeit sind nach phänomenologischen und technisch-kausalen Gesichtspunkten möglich. Entscheidend für die Medizin als praktischer Wissenschaft sind die Differenzierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Veränderbarkeit dieser Einschränkungen durch verschiedene Methoden. Je nach ihrem Angriffspunkt kann man dabei Verfahren mit physischer Wirkung von solchen unterscheiden, mit Hilfe derer wir Menschen in einer sozialen Interaktion aufeinander einen als psychisch bezeichneten Einfluß ausüben können. Die Zweiteilung der Medizin in eine somatische und eine psychische Heilkunde beruht auf dieser methodologischen Unterscheidung. Der Krankheitsbegriff ist daher für die Medizin als ganze konstitutiv, nicht aber auch noch für ihre Teilbereiche, die lediglich Arbeitsschwerpunkte darstellen. Die Aufgabenbereiche einer so begriffenen Körpermedizin und Seelenheilkunde werden skizziert und einige Konsequenzen hiervon angedeutet.
Viele Menschen haben es schon erfahren müssen, was es heißt, krank zu werden oder krank zu sein. Erkranken können wir – jeder weiß es – freilich alle. Betroffen reagieren wir daher bei dem Gedanken an Krankheit meist mit Besorgnis, Beunruhigung, Furcht oder Angst, Gefühlen, die uns um so tiefer zu ergreifen vermögen, je mehr wir überdies darum wissen, wie Krankheit in unser Leben eingreift und uns in dem beeinflußt, was wir von uns denken und halten, was wir darstellen oder vorgeben, tun oder planen.

Krankheit zwingt zum Einhalt, zur Unterbrechung gewohnten und Aufschob geplanten Tuns, zum Gegenteil dessen, was in anderen Lebenssituationen von uns gefordert ist. So sind Situationen der Not oder andere Mangelsituationen, in denen es uns an lebensnotwendigen Gütern fehlt, ja nur durch vielfältige eigene Anstrengungen zu bewältigen, ebenso wie Situationen der Gefahr, die sogar ein besonders schnelles und geschicktes Handeln erfordern. Auch noch die zahlreichen Risiken für unsere Gesundheit können wir nur dann vermeiden, wenn wir uns aktiv darum bemühen.

Kranksein dagegen unterbricht uns in unserem Streben nach Sicherung unseres Wohlergehens – nicht selten bis hin zu solch einem Ausmaß, daß der jeweils Betroffene nicht einmal mehr irnstande ist, um die Unterstützung und sonstige Hilfe nachzusuchen, derer er in seinem Zustand bedarf, wenn nicht sogar alle seine Lebensregungen zum Erliegen kommen.

Diesen in seiner lähmenden Wirkung höchst unerwünschten Zustand in allen seinen Arten und Ausprägungen bis hin zu den Vorgängen, die zu ihm führen, zu erkennen und nötigenfalls möglichst optimal zu bekämpfen, gehört daher zu den selbstverständlichsten Anliegen von uns Menschen seit jeher. Trotz all unseres mittlerweile immensen Wissens über Entstehung, Formen und Verläufe vielerlei Erkrankungen – oder vielleicht gerade deswegen – haben wir es jedoch in der Heilkunde anscheinend bis heute noch nicht zu einer klareren Vorstellung darüber gebracht, was es für uns Menschen bedeutet, nicht mehr ganz gesund zu sein, krank zu werden oder bereits zu sein. Obwohl „gesund“ und „krank“ die grundlegenden Begriffe der Medizin sind, verfügen wir nach jüngsten Untersuchungen nach wie vor über keine einwandfreie terminologische Regelungen der Verwendung dieser Wörter, während sie in der Umgangssprache weithin mit „naiver“, also unreflektierter, gerade deswegen jedoch um so bemerkenswerterer Treffsicherheit gebraucht werden.

Im gewöhnlichen Sprachgebrauch scheint das Gegensatzpaar „gesund – krank“ zwei im praktischen Lebensvollzug durchaus unterscheidbare Zustände bezeichnen zu sollen. In der Medizin ist dagegen die Verwendung dieser kontradiktorischen Termini hiervon deutlich abgehoben, zugleich allgemeiner als auch eingeschränkter und darüber hinaus sogar mehrdeutiger. Der üblichen Ausdrucksweise nach ist und kann krank medizinisch gesehen nur sein, wer eine Krankheit hat, d. h. „einen pathologischen Befund bietet“. Von dem zu erkranken drohenden oder bereits erkrankten Mitmenschen ist hierbei ersichtlich nicht mehr die Rede. Sein Befinden und sonstige individuelle Besonderheiten werden bereits sprachlich ausgeklammert, so daß auf seine persönlichen Eigenheiten auch weiter nicht eingegangen zu werden braucht. Aus dieser Verschiebung des Blickpunktes ziehen die Mediziner allerdings sehr konkreten Nutzen. Indem Person und Persönliches in den Hintergrund verdrängt werden, können nämlich die spezifischen Züge der jeweiligen Erkrankungsformen deutlicher in den Vordergrund treten, so daß es dann lediglich ihrer Katalogisierung und Gruppierung bedarf, um jene herauszufinden, die bei verschiedenen Kranken immer wieder auftreten und damit eventuell auch in gleicher Weise zu beeinflussen sind. Bei diesem in der Medizin deutlicher als in den meisten anderen Wissenschaften ganz praktischen Zwecken dienenden Vorgehen ist das Absehen von der Person des Erkrankten der erste und durchaus notwendige, wenn auch nur selten reflektierte Schritt der wissenschaftlichen Generalisierung empirischer Beobachtungsdaten durch Bildung personeninvarianter Aussagen.

Ein gewisser Nachteil derartiger Verallgemeinerung ist das naheliegende und in der Medizingeschichte auch schon früh auftauchende Mißverständnis von Krankheit als einem gleich auch personenunabhängigen Sachverhalt, etwa in Form eines den Erkrankten befallenden, in ihn eingedrungenen bösen Geistes, Dämons, Teufels, Zaubers oder Fremdkörpers. Auf jeden Fall aber verengt sie die Frage nach der Eigenart des Vorgangs, krank zu werden, und des Zustandes, krank zu sein. Da nicht mehr nach der spezifischen Rolle dieser Ereignisse im Leben der betroffenen Personen gefragt werden kann, ist es nur noch möglich, zu versuchen, genauer herauszufinden, von welcher Art und Ausprägung sie sind. Auf diese Weise kommt medizinisch als Krankheit zwangsläufig nur noch die jeweilige Erscheinungsform individuellen Krankwerdens bzw. Krankseins in den Blick, wie sie nach prinzipiell beliebigen und daher für praktische Zwecke immer nur mehr oder weniger sinnvollen Kriterien von anderen Erkrankungsformen unterscheidbar und damit abgrenzbar und somit definierbar ist. Vieldeutig wird nun die Rede von Krankheit in der Medizin dadurch, daß auch die in dieser Unterscheidungsleistung – deren Charakter in letzter Zeit wissenschaftstheoretisch näher geklärt werden konnte – schließlich gewonnenen Krankheits“einheiten“ oder „Krankheitsbilder“ üblicherweise schlicht Krankheiten genannt werden. Seit längerem hat sich darüber hinaus allerdings zu allem Überfluß auch noch und nur zum Teil in bezug auf die Begriffsbildung der medizinischen Nosologie die erst recht mißverständliche Rede von „Krankheitsbegriffen“ eingebürgert, die vortäuscht, es gäbe neben dem Begriff „krank“ bzw. „Krankheit“ noch andere.

Mit dieser Rede wird oft auch noch das ganz andere fachspezifische Bemühen um die mehr oder weniger einheitliche Erklärung des Entstehens verschiedener Erkrankungen nach bestimmten ätiologischen Vorstellungen bezeichnet, so daß mit dem Ausdruck „Krankheitsbegriff“ hier das gemeint wird, was anderswo „Krankheits(entstehungs)modell“ oder „Krankheits(erklärungs)konzept“ genannt wird. Allein, Versuche der sinnvollen Zusammenstellung von wesentlichen medizinischen Kausalkenntnissen zu einer möglichst einheitlichen Gesamttheorie der Krankheitsentstehung nicht als mehr oder weniger empirisch fundierte theoretische, im wesentlichen also sprachliche Entwürfe mit bestimmter Zwecksetzung zu verstehen, sondern auch noch als „begriffliche“ Leistungen hinzustellen, hieße prinzipielle Differenzierungen zu übersehen. Die Rede in Begriffen, mit deren Hilfe wir sprachlich Sachverhalte darzustellen und zum Ausdruck zu bringen suchen, wäre hier von der Erklärung der Entstehung der jeweils damit gemeinten faktischen Ereignisse genauso wenig auseinandergehalten, wie schon die Bildung der jeweils verwendeten Wörter von dieser Verwendung selbst in der faktischen Rede. Derart undifferenziertes Gerede macht die Besinnung darauf unumgänglich, was mit dem Terminus „Begriff“ selbst ausgesagt wird. Der Wortart nach ist „Begriff“ ein sogenannter „Abstraktor“. Abstraktoren zeigen an, daß ein bestimmter Aspekt eines Wortes zur Sprache kommen soll. So reden wir etwa von der „Lautgestalt“ des Terminus „Krankheit“, wenn wir seine Zweisilbigkeit oder Buchstabenzahl im Auge haben. Der Terminus „Begriff“ soll eine andere Abstraktion zum Ausdruck bringen. Reden wir von dem Begriff „Krankheit“, so zielen wir auf die Bedeutung des Wortes „Krankheit“, d. h. auf das, was es aufgrund stillschweigender oder ausdrücklicher Vereinbarung zu verstehen gibt – wobei diese Vereinbarung in Regeln für die Verwendung des in Rede stehenden Wortes formuliert werden kann.

Nach der Bedeutung des Wortes „Krankheit“ zu fragen, heißt daher wissen zu wollen, welchen Gebrauchsregeln es unterliegt. Die bisher angestellten Überlegungen haben nun gezeigt, daß die Begriffe „krank“ und „Krankheit“ in der Medizin mehrdeutig sind. In der Regel für ihre Verwendung muß danach irgendein Konstruktionsfehler liegen. Um diesen erkennbar werden zu lassen, ist es daher nötig, diese Regel noch weiter zu analysieren. Wie zuvor erwähnt, wird in der Medizin die Verwendung des Wortes „krank“ insofern von der des Wortes „Krankheit“ abhängig gemacht, als jemand erst dann krank genannt wird, wenn er eine Krankheit hat, genauer: wenn bei seiner Untersuchung bestimmte Merkmale seines Zustands festgestellt werden können, die erfahrungsgemäß einem definierten Krankheitsbild zugeordnet werden können. Danach müßte man aber zur Feststellung, ob ein Mensch krank ist, vorab immer schon über ein – wenn auch noch so rudimentäres – Vorwissen von seinem Krankheitsbild verfügen. Es erhebt sich dann freilich sofort die Frage, woher dieses Wissen zu einem Zeitpunkt gestammt hat, als es noch gar kein heilkundliches Fachwissen gegeben haben kann, dieses vielmehr bei der konkreten Hilfeleistung für zweifellos auch schon damals immer wieder erkrankende Personen erst erworben wurde. Heilkundliche Kenntnisse müssen daher wesentlich auf einem noch grundlegenderen Wissen beruhen. Über dieses muß außerdem praktisch jedermann verfügen, so daß hieraus jene eingangs erwähnte Sicherheit des gewöhnlichen Sprachgebrauchs bei der Verwendung der Wörter „gesund“ und „krank“ erwachsen kann, die bislang nur Erstaunen erregen, aber nicht weiter erklärt werden konnte. Danach kann es sich wohl nur um ein Wissen handeln, dem Erfahrungen so elementarer Art zugrunde liegen, daß es sich hierbei um menschliche Grunderfahrungen handeln muß, „Erfahrungen von jedermann“, die noch weitgehend ihrer Explikation in einer medizinisch relevanten Anthropologie harren. Einer der weitestgehenden Versuche, die Ereignisse des Krankwerdens und Krankseins in ihrer ganzen anthropologischen Weite und Bedeutung zu erfassen, und von daher zu einer Definition der Termini „krank“ und „Krankheit“ für die Medizin zu kommen, stammt von K. E. Rothschuh.

Nach den Ergebnissen seiner Untersuchungen ist der Krankheitszustand durch eine spezifische Hilfsbedürftigkeit gekennzeichnet, die es daher in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen gilt. Dabei steht insbesondere zur Aufgabe, die Eigenart krankheitsspezifischer Hilfsbedürftigkeit gegenüber anderen Arten von Unterstützungsbedürftigkeit genauer abzugrenzen. So sind ja zunächst vor allem Kinder – je jünger, desto intensiver – pflegebedürftig und auf eine ganz besondere Unterstützung durch ihre Eltern angewiesen. In einem lange Jahre dauernden Erziehungsprozeß haben diese ihnen nämlich erst all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten zu vermitteln, die sie später zur selbständigen Lebensführung benötigen. Bis sie dieses Mindestmaß an individueller Handlungsfähigkeit erworben haben, bleiben sie auf die Hilfe und Führung von seiten ihrer Eltern angewiesen. Aber auch Erwachsene können durchaus in die Lage geraten, auf mitmenschlichen Beistand angewiesen zu sein, etwa dann, wenn sie in Gefahr, Unglücks- oder Notsituationen geraten, die ihre Kräfte überfordern, oder wenn ihre Fertigkeiten nicht ausreichen, diese Situationen zu meistern.

Die Hilfsbedürftigkeit von Menschen in derartigen Lagen gründet sich in diesem Fall ersichtlich nicht auf eine noch mangelhaft ausgebildete Handlungsfähigkeit wie bei Kindern. Es zeigt sich in derartigen Situationen vielmehr nur die für jedermann irgendwo liegende Begrenztheit persönlichen „Könnens”. Die spezifische Hilfsbedürftigkeit eines Kranken erwächst dagegen aus einer, vielleicht plötzlich eintretenden oder aber sich langsam entwickelnden Einschränkung seiner individuell jeweils erreichten Handlungsfähigkeit, die sogar wie bei einem Bewußtseinsverlust oder zerebralem Abbau für einige Zeit oder dauernd total verloren gehen kann. Im Krankheitsfall sind wir daher auf Beistand und Hilfe allein deswegen angewiesen, weil wir uns selbst nicht mehr so wie bis dahin zu helfen vermögen. Während die Situation, in der wir uns als Kranke befinden, in manchen Zügen einer echten Notsituation gleicht, da wir in beiden den jeweiligen Anforderungen nicht nachkommen können, ist die Hilfe, auf die wir dabei angewiesen sind, von ähnlicher Art wie diejenige, derer Kinder bedürfen. Denn die jeweilige Minderung oder der jeweilige Ausfall bestimmter Fertigkeiten muß für die Zeit, während der diese Minderung bzw. dieser Ausfall besteht, von anderen Personen auf irgendeine Weise ausgeglichen werden. Damit besteht freilich wirkliche und wirksame Behandlung von Kranken stets in weit mehr als nur in der unmittelbaren Bekämpfung und Überwindung ihrer Krankheiten. Die Betreuung von Kranken beginnt demnach mehr oder weniger lange vor dem Einsetzen medizinischer Diagnostik und Therapie und endet nur selten mit diesem speziellen Beitrag zur Wiedergewinnung voller Handlungsfähigkeit.

Sofern Heilkunde als die Summe all der Kenntnisse und Fertigkeiten begriffen werden kann, die diejenigen, die sie erlernen, in den Stand setzen, erkrankten Mitmenschen so gut wie möglich zur Genesung zu verhelfen und gesunde Mitmenschen bei der vielschichtigen Sicherung von Erwerb und Besitz hinreichender Handlungskompetenz zu beraten, ist und kann Medizin wohl kein Reservat für einen einzigen Berufstand sein.

Als spezielle und angewandte Anthropologie in ihrer ganzen Breite beruht sie vielmehr auf der Lebenserfahrung von jedermann und unserem übrigen, von der Biologie, der Psychologie, der Soziologie und der Geschichtswissenschaft gelieferten Wissen von uns selbst.
So wie die breite, weit über das bisherige wissenschaftliche Selbstverständnis der Medizin hinausreichende Basis der Heilkunde hier deutlich gemacht werden kann, so ist es nunmehr auch andeutungsweise möglich, die besondere Eigenschaft des Terminus „krank“ anzugeben, die zu begreifen schon immer auffällige Schwierigkeiten bereitet hat. Die Feststellung einer Einschränkung individueller Handlungsfähigkeit besteht nämlich wie die Einschätzung, die praktisch jeder Mensch vornimmt, wenn er mit anderen Menschen in Kontakt kommt, in einem durchaus komplizierten Zusammenspiel von Beobachtungs-, Deutungs- und Einschätzungsleistungen. Denn es gilt ja nicht nur, ein wiederholt gezeigtes Verhalten einer Person in bestimmten Situationen zu registrieren. Dieses Verhalten ist vielmehr in einem zweiten Schritt so weit wie möglich als ein sinnvolles, „zweckgebundenes“ Handeln zu deuten. In einem dritten Schritt schließlich muß dieses als Handeln gedeutete Verhalten auch noch auf die jeweilige Lebenssituation und den jeweiligen Lebenszusammenhang des Betroffenen bezogen werden, da hier die Bedingungen gegeben sind, denen er im Hinblick auf seine eigenen Bedürfnisse gerecht werden muß, solange er hierunter sein Leben zu führen hat.
Der Terminus „krank“ ist daher ebenso wie der zu ihm in kontradiktorischem Gegensatz stehende Terminus „gesund“ bei weitem kein einfacher, „beobachtungssprachlicher“ Terminus. Beide sind vielmehr „Beurteilungstermini“, deren Gebrauch neben Beobachtungen und Deutungen immer auch Relevanzfestlegungen und Relevanzeinschätzungen erfordert.

Ungleich anderen Beurteilungstermini wie „richtig“ und „falsch“ oder „gut“ und „schlecht“ unterliegt die Verwendung der Termini „krank“ und „gesund“ allerdings nicht von Fall zu Fall verschiedenen, jeweils eigens zu explizierenden normativen Gesichtspunkten. Ihr dadurch erheblich erleichterter Gebrauch ist nur von einem einzigen und dabei sehr praktischen Beurteilungskriterium abhängig:

Entscheidend ist allein, ob eine Person nach wie vor über die Handlungs- und Leistungsfähigkeit verfügt oder nicht, zu der sie sich selbst bis dahin imstande gefühlt hat, und die andere von ihr auch erwarten konnten – umgangssprachlich ausgedrückt: ob also jemand wie bisher mit klarem Verstand und tatkräftig im Leben steht oder nicht. –

Aufgrund dieser Überlegungen lassen sich die Regeln für den Gebrauch der Wörter „gesund“ und „krank“ wie folgt rekonstruieren:

Als gesund schätzen wir uns ein, solange wir unser Tun unter gegebenen Umständen hinreichend sinnvoll ausrichten sowie unseren Bedürfnissen gemäß zweckmäßig auch ausführen können, wie groß auch immer im einzelnen die Unterschiede in der persönlichen Fertigkeit sein mögen, sein Handeln zu orientieren, organisieren und optimieren. Als krank bezeichnen wir uns selbst oder andere dann, wenn wir Gründe haben, diese individuelle Handlungsfähigkeit bei uns oder anderen demgegenüber in irgendeiner Hinsicht als eingeschränkt anzusehen.

Hieraus können nun folgende explizite Definitionen abgeleitet werden:

Krankwerden = der Vorgang, von dem wir erwarten, daß er zu einer Einschränkung individueller Handlungsfähigkeit führt.

Kranksein = der Zustand, in seiner individuellen Handlungsfähigkeit eingeschränkt zu sein.

Krankheit = Einschränkung individueller Handlungsfähigkeit.

Somit wären die für die Medizin grundlegenden Begriffe erstmals ohne Rückgriff auf fachwissenschaftliche Kenntnisse bestimmt und diese letzteren als nur weitere Differenzierungen allgemeineren Wissens erwiesen. Dabei wird keineswegs unterstellt, daß hiermit die Probleme der faktischen Verwendung dieser Begriffe auch schon gelöst wären oder auch nur gelöst werden könnten, die Beurteilung eines Menschen als gesund oder krank leichter würde als bisher. Nach dem zuvor Ausgeführten ist dies nicht zu erwarten. Der Gewinn der erreichten Begriffsklärung liegt dann, wenn die vorgetragenen Überlegungen einsichtig und stichhaltig sein sollten, lediglich in einer größeren Klarheit hinsichtlich dessen, was man tut, wenn man jemanden für gesund hält, ihn für krank erklärt oder wieder gesund schreibt. Andererseits lassen sich nunmehr auch einige Grundzüge der Medizin durch Beseitigung bestimmter Mißverständnisse deutlicher als bislang herausstellen.
Wenn wir in dem Begriff „krank“ bzw. „Krankheit“ den für die Medizin grundlegendsten Begriff vor uns haben, so muß dieser in gleicher Weise auch für alle Teilbereiche der Medizin gleichfundamental sein. Dann aber sind zwei entscheidende Feststellungen möglich: die Psychiatrie kann genauso wenig einen eigenen, speziell psychiatrischen Krankheitsbegriff besitzen wie irgendein anderer Bereich der Medizin; andererseits ist weder die psychische Heilkunde, noch sonst ein medizinischer Teilbereich mit diesem Krankheitsbegriff auf irgendein und nur ein Krankheits(erklärungs)modell festgelegt, da der Begriff „Krankheit“ ersichtlich keinerlei Beschränkung dahingehend enthält, daß als Krankheiten nur Sachverhalte bestimmter Verursachung und Genese angesehen werden dürfen. Eine These wie „Krankheit gibt es nur im Leiblichen“ ist daher ebenso unhaltbar, wie antithetisch eine nicht weniger einseitige Sozio- oder Psychogenese dagegen zu setzen.
Wenn aber weder der Krankheitsbegriff noch ein bestimmtes Krankheitserklärungsmodell dazu taugen, irgendeinen Teilbereich der Medizin von einem anderen abzugrenzen, ist erst noch eine Antwort auf die Frage zu finden, worauf sich die Aufteilung der Medizin in verschiedene Bereiche gründet – insbesondere jene große Dichotomie der Medizin in eine somatische und psychische Heilkunde. Da diese in jüngster Zeit sogar berufspolitische Relevanz erhalten hat, seit Psychologen eine immer größere Zuständigkeit für die psychische Heilkunde beanspruchen, sei dieser Frage hier abschließend noch nachgegangen.

Soll die Abgrenzung einer Körpermedizin von einer Seelenheilkunde eine medizinisch relevante Unterscheidung sein, so muß sie sich auch aus medizinisch relevanten Tatbeständen ableiten lassen. Tatsächlich gibt es zwei Möglichkeiten, diese Zweiteilung sinnvoll zu rekonstruieren. Ein Weg ergibt sich, wenn man auf die unterschiedlichen Phänomene rekurriert, an denen ein Krankwerden oder Kranksein erkannt werden kann. Eine andere Möglichkeit eröffnet sich, wenn man von dem Ansatzpunkt therapeutischer Maßnahmen ausgeht. So läßt sich in Anbetracht der Unterscheidung von Zwecken und Mitteln die Fähigkeit zur sinnvollen Zwecksetzung und zweckrationalen Mittelauswahl von der Fertigkeit unterscheiden, die zur Erreichung gesetzter Zwecke für adäquat gehaltenen Mittel „in der Tat“ auch zum Einsatz zu bringen. Sofern die vernünftige Zwecksetzung und die zweckrationale Mittelauswahl als „geistige“ Leistungen gelten können, müßten als „Geisteskrankheiten“ alle Einschränkungen der Fähigkeit bezeichnet werden, sein Handeln zweckmäßig zu orientieren und zu organisieren. Andererseits: Zur Herbeiführung vieler und oft genug lebensnotwendiger Sachverhalte benötigen wir als Mittel oft nichts weiter als unsere Hände, nicht selten auch unsere „Sprechwerkzeuge“ oder manch andere „Organe“, wenn nicht sogar „unser ganzer Einsatz“ gefordert ist. In dieser eigenartigen, selbstdistanzierten, um nicht zu sagen selbstverfremdenden technischen Betrachtungsweise ist es sogar weithin üblich, sich selbst nur noch als „Organismus“ zu sehen und zu analysieren. Die auffälligste organismische „Funktion“, wie es dann meist auch noch für „Fähigkeit“ heißt, ist dabei zweifellos unsere körperliche Bewegungsfähigkeit. Einschränkungen unserer Bewegungsfähigkeit dürften daher seit jeher als meist schon optisch am auffälligsten und subjektiv am unmittelbarsten erlebbare Krankheiten als Inbegriff körperlicher Erkrankungen gegolten haben. Diese theoretisch möglich und in der Geschichte der Medizin durchaus bis heute auch gelegentlich benutzte phänomenologische Unterscheidungsmöglichkeit ist medizinisch allerdings um so irrelevanter geworden, je umfangreicher unsere Kenntnisse über die verschiedenen Erkrankungsformen wurden, bei denen sich Einschränkungen geistiger und körperlicher Fertigkeiten nicht voneinander trennen lassen. Vor allem aber unser ständig wachsendes Wissen über Entstehung und Verlauf einzelner Erkrankungen hat zur wachsenden Einsicht geführt, daß Genese, Erscheinungsformen und Verlauf von Krankheiten von ganz unterschiedlichen Faktoren abhängen können. Genau dieses Kausalwissen ist aber allein entscheidend für Auswahl, Anwendungsmodus und -zeit von therapeutischen Maßnahmen. Denn jedes – insbesondere methodisch im Experiment gewonnene – Kausalwissen ist ein durch konkretes Handeln gewonnenes Wissen. Die Ursache eines Sachverhaltes zu kennen, heißt daher, zu wissen, was zu tun wäre, um diesen Sachverhalt herbeizuführen. Auch unsere medizinischen, bei der Behandlung kranker Mitmenschen gewonnenen Kausalkenntnisse und -vorstellungen sind demnach methodenabhängig und als solche stets Verweis auf Maßnahmen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt als adäquate Therapiemethoden angesehen wurden bzw. werden. Die Ausgrenzung der Seelenheilkunde aus der Medizin fand daher auch zu einem Zeitpunkt statt, als Ärzte bestimmte neue Methoden in der Medizin zur Anwendung zu bringen suchten. Nachdem sie ihre Tätigkeit im religiös geprägten Mittelalter noch so gut wie ausschließlich auf physische Erscheinungen und dementsprechende Behandlungsmethoden beschränken mußten – weshalb sie sich denn auch als „physici“ bezeichneten und im Englischen heute noch „physicians“ nennen -, begannen sie „im Zeitalter der Vernunft“, also in der Neuzeit, mit ihrem auf den Fortschritten der Physik beruhenden Glauben an die Beherrschbarkeit aller Probleme auch in der Medizin alsbald Behandlungsmethoden zu propagieren und zur Anwendung zu bringen, die keineswegs mehr oder nicht ausschließlich physisch wirksam waren, wie etwa die moralisch-pädagogisch ausgerichtete „psychische Curmethode“ Reils, auf den der Begriff der Psychiatrie zurückgehen soll. Die Scheidung einer Seelenheilkunde von der übrigen Medizin, und damit die Unterscheidung zwischen einer somatischen und psychischen Heilkunde, kann somit auch methodisch begründet werden, da sich die in der Medizin zur Anwendung kommenden Verfahren ihrem unmittelbaren Angriffspunkt entsprechend in zwei große Gruppen einteilen lassen. Die eine Gruppe besteht in all den bekannten Verfahren, die ungeachtet ihrer weiteren Auswirkungen eine physische, wissenschaftlich also nur physiologisch erfaßbare Wirkung auf uns Menschen haben. Die andere Gruppe wird gebildet von verschiedenen Formen sozialer Interaktion, in denen wir – wenn auch nicht nur zu therapeutischen Zwecken – einen nun einmal „psychisch“ genannten Einfluß auf Mitmenschen ausüben können.

Unterscheidet man tatsächlich auf diese Weise, so ergeben sich hieraus folgende, mit mancherlei gewohnter Ansicht nicht immer in Übereinstimmung zu bringende Konsequenzen.

  1. Ausübungen der Körpermedizin bzw. somatischen Heilkunde, oder – in der alten Ausdrucksweise des 19. Jahrhunderts – der „physiologischen Medizin“ ist „Somatotherapie“ (bzw. im weitesten Sinn „Physiotherapie“). Ihr Zweck ist die Minderung oder Überwindung all der Einschränkungen individueller Handlungsfähigkeit, die wir mit physikalischen und chemischen Mitteln verändern können und von daher naheliegenderweise zunächst mit solchen organischen Veränderungen in Zusammenhang bringen, die wir mit den Methoden der Physiologie, Biophysik, Biochemie und Anatomie dabei feststellen können.
  2. Ausübung der Seelenheilkunde ist Psychotherapie – oder sie ist keine psychische Heilkunde. Ihr Zweck ist es, durch den Einsatz von Methoden psychischer Einflußnahme zur Minderung und Überwindung von Einschränkungen individueller Handlungsfähigkeit beizutragen, wobei wenigstens von denen, die nur auf diese Weise zu verändern sind, angenommen werden kann, daß sie aufgrund einer sozialen Interaktion auch zustande gekommen sind. – Nur angedeutet werden soll noch, daß psychotherapeutisch einsetzbare Methoden psychischer Einflußnahme wie etwa der Überredung, Überzeugung oder auch nur einfach der Information einen wesentlich weiteren Einsatzbereich als nur den unmittelbarer Psychotherapie aufweisen, nämlich nahezu den gesamten Bereich der Medizin, so daß hier eine weit umfassendere Rolle einer wohlbegriffenen psychischen Heilkunde sichtbar wird, als ihr bislang wohl zugestanden werden mag.
  3. Berücksichtigt man, daß ebenso wie die pathologische Physiologie auf der allgemeinen Physiologie aufbaut, die Psychopathologie die Psychologie voraussetzt, so kann man nicht umhin, die Psychologie entgegen der historischen Entwicklung als ein ebenso wesentlich medizinisches Fach wie die Physiologie anzusehen und ihr eine Bedeutung zuzugestehen, die jenem wenigstens gleichwertig ist.
  4. Versteht man unter „Medizin“ die nach wissenschaftlichen Gütekriterien betriebene Heilkunde, so ist der Ausdruck „psychologische Medizin“ ein Synonym für Seelenheilkunde, mit dem gleichzeitig auf dieses, wissenschaftliches Handeln auszeichnende „normative Fundament“ und die Psychologie als ihr Grundlagenfach verwiesen wird.
  5. Da Psychotherapie immer in sozialer Interaktion besteht, ist der Terminus „Soziotherapie“ dann, wenn er nicht allein zur recht mißverständlichen Bezeichnung für präventive und rehabilitative Maßnahmen dient oder dienen soll, ein synonymer Terminus für Psychotherapie; der damit zusammenhängende Terminus „Sozialpsychiatrie“ wäre rein begrifflich dann ein pleonastisches Synonym für Seelenheilkunde.
  6. In Anbetracht der faktisch bis zu Beginn der siebziger Jahre ausschließlich, seitdem immer noch weit überwiegend physiologisch / somatologisch ausgerichteten Ausbildung von Ärzten ist ein Ausdruck wie „ärztliche Psychotherapie“ sachlich widersprüchlich, die Bezeichnung der Ausübung der Seelenheilkunde durch Personen, die zwar über eine psychologische Kompetenz verfügen, aber nicht auch noch „den üblichen Umweg“ zur psychischen Heilkunde über eine siebenjährige Ausbildung zum Arzt gemacht haben, als „nichtärztliche Psychotherapie“ tautologisch – von dem in diesem Ausdruck unterschwellig mitklingenden Unterton von „nicht-medizinisch“ abgesehen, der gelegentlich allerdings – etwa in einem Begriff wie „Psychopädie“ für „Psychotherapie durch Nichtärzte“ – auch ausdrücklich zur Sprache gebracht wird.

Aufgrund der bloß technischen Relevanz der Unterscheidung einer Körpermedizin und Seelenheilkunde versteht es sich von selbst, daß die Arbeitsgebiete von Ärzten und Psychotherapeuten einen weiten Überlappungsbereich aufweisen müssen, den man als „psychosomatische Medizin“ bezeichnen könnte. Unter diesem Gesichtswinkel stellt freilich auch die Psychosomatik kein eigenes Gebiet, sondern lediglich einen dritten, mehr integrativen Arbeitsschwerpunkt innerhalb der Medizin dar, sofern man bereit ist, die vornehmliche oder ausschließliche Anwendung psychotherapeutischer Maßnahmen bei der Behandlung von kranken Mitmenschen auf der einen Seite und diejenige somatotherapeutischer Verfahren auf der anderen als weitere Schwerpunkte medizinischer Arbeit anzusehen.
Ersichtlich kann auch für diese rein technisch begründeten Schwerpunktbereiche der Medizin nicht beansprucht werden, sie wären auf einem eigenen Krankheitsbegriff begründet. Andererseits erweist sich eine wie eben begründete Seelenheilkunde als integraler, ja wesentlicher Bestandteil der Medizin, quasi als ihre zweite, vielleicht sogar bessere Hälfte, die Psychotherapie als ihr zweites Bein. Auf beiden Beinen zu laufen, wird der Medizin nach ihrer immer einseitiger gewordenen Ausrichtung bis hin zur als „Durchbruch“ mehr gefeierten als bedauerten Fixierung auf nur noch naturwissenschaftliche Normen im vergangenen Jahrhundert kaum so schnell wieder selbstverständlich werden. Denn es gilt hier nicht, eine einfache Mangelsituation zu bewältigen, sondern eine Selbstbeschränkung wieder aufzuheben. Auch wenn es – medizinisch ausgedrückt – an Inaktivitätsatrophie leidet, so fehlt der Medizin ihr zweites Bein ja nicht. Es wird nur nicht, und zwar noch nicht richtig gebraucht.

Zusammenfassung #

Im Unterschied zu all den Wissenschaften, die zum Aufbau und zur Optimierung unserer Fähigkeit, sinnvoll zu handeln, sowie bei ihrer Aktualisierung im konkreten Handeln zu dessen Orientierung und Organisierung beitragen, besteht die einzigartige Aufgabe der Medizin darin, diese Fähigkeit zu erhalten oder wiederherzustellen. Denn Kranke sind Personen, deren individuelle Handlungsfähigkeit in irgendeiner Hinsicht eingeschränkt ist, so daß sie des Beistands und bestimmter Hilfe bedürfen. Der medizinische Terminus „Krankheit“ steht daher für „Einschränkung individueller Handlungsfähigkeit“. In dieser Bedeutung ist der Begriff „Krankheit“ grundlegend für die gesamte Medizin. Differenzierungen verschiedenartiger Einschränkungen individueller Handlungsfähigkeit sind nach phänomenologischen und technisch-kausalen Gesichtspunkten möglich. Entscheidend für die Medizin als praktischer Wissenschaft sind die Differenzierungsmöglichkeiten hinsichtlich der Veränderbarkeit dieser Einschränkungen durch verschiedene Methoden. Je nach ihrem Angriffspunkt kann man dabei Verfahren mit physischer Wirkung von solchen unterscheiden, mit Hilfe derer wir Menschen in einer sozialen Interaktion aufeinander einen als psychisch bezeichneten Einfluß ausüben können. Die Zweiteilung der Medizin in eine somatische und eine psychische Heilkunde beruht auf dieser methodologischen Unterscheidung. Der Krankheitsbegriff ist daher für die Medizin als ganze konstitutiv, nicht aber auch noch für ihre Teilbereiche, die lediglich Arbeitsschwerpunkte darstellen. Die Aufgabenbereiche einer so begriffenen Körpermedizin und Seelenheilkunde werden skizziert und einige Konsequenzen hiervon angedeutet.

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Berufsbiographisches zu Ingo-Wolf Kittel
1967-73 Medizinstudium in Rennes (Bretagne) als Austauschstipendiat und Erlangen mit anschließendem vierjährigen Aufbaustudium in Psychologie und Philosophie ebd. bei Wilhelm Kamlah, Paul Lorenzen und Oswald Schwemmer („Methodischer Konstruktivismus“- heute weitergeführt unter dem Titel „Kulturalismus“ von Peter Janich, Marburg und Dirk Hartmann [Habilitation über ‚Philosophische Grundlagen der Psychologie‘ 1998]) als Grundlage für ein durch den Krebstod des Doktorvaters unabgeschlossen gebliebenes Dissertationsprojekt zur ‚Kritik der wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Verhaltenstherapie‘.
1978-86 Facharztausbildung am PLK Eichberg bei Wiesbaden, in der Neurochirurgischen sowie Neurologischen Universitätsklinik in Freiburg und der Psychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg – hier auch mehrjährige psychiatriegeschichtliche Forschungen zu dem jüdischen Arzt und dem wohl wichtigsten Wissenschaftstheoretiker der Psychischen Heilkunde Arthur Kronfeld (Berlin 1886 -1941 Moskau), daneben psychotherapeutische Zusatzausbildung.
12.11.1986 Facharzt für Psychiatrie, 11.12.1987 Zusatztitel Psychotherapie (seit 1.12.1995 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie), seit 8.11.1995 Facharzt für psychotherapeutische Medizin.
Eigene Praxis seit 1987, zunächst in Mannheim, seit 1996 in Augsburg.
Schwerpunkte: ‚Wissen‘ und damit Wissenschaft als ‚kulturelle‘ sprachabhängige Leistung (insbes. im Unterschied und im Vergleich zur ’sinn[en]vollen‘ Wahrnehmung und daran gebundene ‚Erinnerungen‘ und andere ‚Vorstellungen‘)
Interessen: Historische und wissenschaftstheoretische Grundlagen der Medizin und Psychologie im allgemeinen und die Entwicklung der Psychotherapie bis 1933 im besonderen, speziell: Problematik von Begriff und Entwicklung des ‚Bewußtseins‘ (Detailanalyse des Werks von Julian Jaynes), Yoga, Buddhismus, insbes. Abhiddharma, Realgehalt der sog. ‚Esoterik‘, Symboldenken und ‚veränderte Bewußtseinszustände‘.

Weitere Veröffentlichungen:

  • Suizidale Patienten – Was tun? Leitartikel.Ärtl. Praxis XXXVII Nr. 3 vom 8.Januar 1985, S. 21
  • Suizid. in: Rat in ratloser Zeit. Kirchliche Beratung – Dienst am Menschen. Für die ‚Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Beratung‘ hrsg. von: Post, I., N. Klann und F. Herzog. Lambertus-Verlag, Freiburg 1986, S.132-140
  • Arthur Kronfeld zum einhundertsten Geburtstag am 9. Januar 1986. Archiv Bibliographia Judaica, Frankfurt 1986; übers.:
  • Arthur Kronfeld on the occasion of his hundredth birthday on January 9th 1986. Indiv. Psychol. News Letter 34 (1986) 26-28
  • Arthur Kronfeld zur Erinnerung – Schicksal und Werk eines jüdischen Psychiaters und Psychotherapeuten in drei deutschen Reichen. – Referat zur Eröffnung der Gedächtnisausstellung zum 100. Geburtstag im Archiv Bliographia Judaica, Frankfurt, am 9. Januar 1986. EXIL VI (1986) 58-65; wieder abgedruckt in: Arthur Kronfeld 1886-1941 – Ein Pionier der Psychologie, Sexualwissenschaft und Psychotherapie. Ausstellungskatalog Nr.17 bearbeitet von Ingo-Wolf Kittel und hrsg. von der Bibliothek der Universität Konstanz, Konstanz 1988, S. 7-13
  • Arthur Kronfeld (1886-1941). Ein früher Wissenschaftstheoretiker der Psychologie und Psychiatrie. Psychol. Rundschau 37 (1986) 41
  • Arthur Kronfeld (1886-1941) zum Gedenken – Ein Kapitel vergessener Psychotherapiegeschichte. Prax Psychother Psychosom 31(1986) 1-3
  • „Die Heidelberger Jahre waren von großer Bedeutung für Kronfeld…“ Interview in: Communale, Heidelberg, 4.Jg., Nr. 28 vom 10.Juli 1986, S. 8 (zum Artikel „Fast vergessen: Arthur Kronfeld“ ebd., S. 8-9)
  • Zum Exil von Arthur Kronfeld. extracta psychiatrica 2 (1988) 66
  • Arthur Kronfeld – Leitender Arzt am Institut für Sexualwissenschaft in den Jahren 1919-1926. Mitt. MHG 6 (August 1985) 25-41; ern. in: Dose, R. und H.-G. Klein (Hrsg.): Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft Band I Heft 1(1983) – Heft 9(1986). von Bockel Verlag, Hamburg 1992, Zweite, durchgesehene und erweiterte Ausgabe (Schriftenreihe der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft: Band 7) S. 215-231
  • Zur historischen Rolle des Psychiaters und Psychotherapeuten Arthur Kronfeld in der frühen Sexualwissenschaft. in: Gindorf, R. und E. J. Haeberle (Hrsg.): Sexualitäten in unserer Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte, Theorie und Empirie. Schriftenreihe Sozialwissenschaftliche Sexualforschung 2. Walter de Gruyter, Berlin 1989, S. 33-44
    Rezensionen:
  • Möller, Hans Jürgen: Methodische Grundprobleme der Psychiatrie. – Kohlhammer, Stuttgart 1976. Metamed 1 (1977) 210-212
  • Lockot, Regine: Erinnern und Durcharbeiten. Zur Geschichte der Psychoanalyse und Psychotherapie im Nationalsozialismus. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1985. Psychother. med. Psychol. 36 (1986) 284-285

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